Irrglaube in der Trauer! Wie viele falsche Vorstellungen es doch dabei geben kann, versetzt mir einen Stich im Magen. Trauer ist etwas vollkommen Natürliches und wir alle haben die Gabe zu trauern instinktiv in unserem Verhalten verankert. Trotzdem geistert noch immer aufgrund von gesellschaftlichen Konventionen ein fataler Irrglaube rum, mit dem wir endlich brechen sollten. Er belastet Trauernde nur und verhindert die Natürlichkeit der Trauer. Damit entstehen Verdrängung, Abschottung, Rückzug und ein Gefühl von Einsamkeit, die einen Nährboden für psychische und physische Erkrankungen bieten. Schauen wir uns also vier Punkte des Irrglaubens in der Trauer näher an.
Irrglaube 1: Trauer gibt es nur nach dem Tod
Da beginnt es schon mal. Wir verbinden mit Trauer sofort den Tod und gestehen sie oft nur nach diesem Schicksal den Menschen zu. (und sogar hier nicht jedem – verstorbene war zu jung/zu alt um darüber trauern zu dürfen) Doch Trauer passiert nach jeder Art von Verlust. Immer dann, wenn wir etwas für uns Wertvolles verlieren, sich eine einschneidende Veränderung auftut betrauern wir das. Mechanismen werden automatisch in Gang gesetzt, wie etwa ein Gefühl von Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, ein Sehnsuchtsgefühl, Schmerzen im Brustkorb und im Halsbereich und noch vieles mehr. Unser Ausdruck geschieht dann über unsere Tränen, aber noch vielen anderen Formen.
Wir können also genauso traurig sein, wenn wir zb unseren Job verlieren, den wir so geliebt haben. Oder wenn wir unseren Gesundheitszustand verlieren, eine Freundschaft oder Beziehung zu Ende geht, für uns wichtige Dinge zerstört werden. Die Liste ist lang und hängt immer mit unserem Beziehungsverhältnis zur Sache/Person zusammen.
Irrglaube 2: Trauer ist eine Krankheit
„Wer trauert, ist depressiv“, musste ich leider zu häufig schon hören. Tatsächlich sind Trauer und eine Depression aber ganz unterschiedliche Dinge. Wie Trauer definiert werden kann, hat Dr. Kerstin Lammer in ihrem Buch „Trauer verstehen“ perfekt auf den Punkt gebracht:
„Trauer ist die normale Reaktion auf einen bedeutenden Verlust – Trauer ist keine Krankheit, keine Katastrophe, keine Fehlfunktion und kein Zeichen von psychischer oder charakterlicher Schwäche, sondern ein normaler, gesunder und psychohygienisch notwendiger Prozess der Verarbeitung von einschneidenden Verlusten und Veränderungen.“
Mit der Trauer werden also natürliche Prozesse in Gang gebracht, die uns helfen mit Verlusten klarzukommen und weiterzuleben. Wir sind dazu geboren diese Gefühle auszudrücken und haben uns leider selbst darum bestohlen. Heutzutage leben wir in einer sehr schnelllebigen, leistungsorientierten Zeit, in der Schwächen und Anpassungsschwierigkeiten als krank betrachtet werden, die am besten aussortiert werden sollten und abgeschoben in irgendwelche Kliniken. Trauer ist etwas, das sehr viel Zeit braucht, langsam verläuft, die Möglichkeit zur vollen Leistung einschränkt. Deshalb möchten wir sie schnell loswerden, eindämmen, damit sie uns beim „Funktionieren müssen“ nicht im Weg steht.
Stattdessen sollten wir uns eher ein Beispiel daran nehmen und uns alle ein Stück weit entschleunigen. Denn all unsere Seelen und Körper kommen der hohen Geschwindigkeit nicht mehr nach und das nicht nur, wenn wir trauern. Zu Beginn meiner Trauer wollte ich noch dazugehören, hab versucht auf der Überholspur mitzufahren. Irgendwann ging mir aber der Sprit aus und ich erkannte, dass ich lieber in meinem persönlichen Tempo gehe. Das tut mir selbst gut, aber auch meiner Trauer. Manchmal gibt es heute Tage, an denen ich psychisch verschnupft bin, wie ich gern sage, dann gönne ich mir Ruhe und tue das, was mir Kraft gibt, mach frei, schraube meine Agenden runter.
Trauer ist also definitiv keine Krankheit. Viel mehr sind unsere Vorstellungen davon ungesund geworden, wenn nicht sogar krankhaft. Und weil Trauer auch keine Krankheit ist, können und dürfen wir sie nicht so behandeln. Keine Tabletten der Welt helfen, sondern nur ein Durchgehen durch die Trauer und Annehmen. UND eine Erlaubnis in der Gesellschaft natürlich trauern zu dürfen.
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Irrglaube 3: Trauer bedeutet nur zu weinen
Am Anfang eines Verlustes weint man viel, manchmal sogar bis zu einer Stunde durch oder noch länger. Aber wir Trauernden weinen nicht nur. Kein Mensch würde das durchstehen, nur zu weinen. Der Körper braucht Pausen vom Schmerz, um sich zu erholen und Kraft zu tanken. Diese holt er sich bewusst auch, indem er die Augen wieder trockenen lässt. Und dann gibt es da ja noch ganz andere Gefühle in der Trauer, als nur traurig zu sein. Zorn und Wut flackern auf und wir schreien mal laut, Schuldgefühle und Ängste quälen uns, denen wir kaum auskommen, aber auch Mut macht sich breit, wenn wir uns trauen und überwinden Dinge zu tun, die wir nie für möglich gehalten hätten. Und dann ist da noch die Freude und das Lachen. Ja das Lachen, das findet genauso seinen Platz, sogar von Anfang an. Es mag anfangs nicht mehr mit einer tiefen Leichtigkeit verbunden sein, aber es kommt und passiert, manchmal ganz unverhofft.
Dann wenn wir lustige Erinnerungen von früher teilen, kitzelt uns ein Lächeln, das sich auf den Lippen zeigt. Wenn der Schmerz grad unendlich groß ist und ich vor lauter weinen plötzlich in ein Lachen kippe, das mich schützt daran zu zerbrechen. Dann, wenn ich von Menschen umgeben bin, die mich schon immer erheiterten und es sogar in meinen dunkelsten Stunden allein durch ihre Art schaffen, mich zum lachen zu bringen, ganz zwanglos.
Als Trauernde*r kann mans nie richtig machen. Weinen wir ständig heißt es: „Lach doch mal.“ Lachen wir zu früh oder zum falschen Zeitpunkt kommt ein: „Wie kannst du nur schon wieder lachen.“ Jedoch haben wir doch dieses wundervolle breite Spektrum an Gefühlen und deren Ausdruck und unser Körper weiß schon, was er da tut. Er unterstützt uns mit all seinen Ausdrücken, um gut da durch zu kommen. Warum vertrauen wir also einfach nicht uns selbst und den Gefühlen wieder mehr, anstatt zu verurteilen, besonders dann, wenn wir nicht in deren Haut stecken. Jeder fühlt eben anders intensiv, ganz individuell, ganz bunt.
Irrglaube 4: Trauer hat ein Ablaufdatum
Viele Menschen glauben, dass Trauer nach einer bestimmten Zeit einfach abgeschlossen ist. Leider ist das ein Trugschluss. Trauer bleibt, egal auch, welcher Verlust sich dahinter verbirgt. Sie verändert sich lediglich. Aber wir werden immer wieder im Leben mit unserer Vergangenheit konfrontiert. Es wechseln traurige Phasen im Leben mit freudvollen ab. Machen wir das anhand eines Beispiels etwas greifbarer. Der Mann einer Frau ist an Krebs gestorben. Auch Jahre später wird es besondere Tage geben, die an diese Zeit erinnern und dadurch traurig machen. Das können der Hochzeitstag, der Tag der Diagnose, Geburtstage, Todestage etc. sein. Der Verlust wird wieder deutlich bewusst, sie vermisst den Menschen und ist daher traurig.
Knapp drei Jahre nach Larissas Tod saß ich in der Arbeit und es war kurz vor ihrem Geburtstag. Ich wurde traurig und mir kamen ein paar Tränchen. Mein Chef sagte mir daraufhin: „Also, wenn du jetzt noch immer weinst, dann solltest du dir mal therapeutische Hilfe holen.“ Warum haben wir Menschen ein so derart großes Problem mit Tränen und Traurigkeit? Ich war fassungslos. Heute sieben Jahre später gibt es genauso Tage, an denen ich zwischendurch weinen muss. Danach geht es immer besser und ich fühle mich leichter. Wie gesagt, der Körper weiß schon was er da tut und weinen gehört nun mal dazu.
Ich habe auch mal eine junge Frau begleitet, deren einzige Schwester im Teenager Alter verstarb. Zwanzig Jahre später heiratete sie und bekam ein Kind. Sie weinte bitterlich, weil ihre Schwester dies nicht miterleben konnte und sie ihr keine Fragen stellen konnte oder sich austauschen. Unsere Vergangenheit gehört also auch in unser Jetzt und manchmal blicken wir eben mit Wehmut und einer Traurigkeit zurück, weil manche Dinge für immer vorbei sind. Die Wellen werden zwar kleiner, die Heulkrämpfe ganz sanft und liebevoll, aber die Trauer bleibt, denn im Grunde spiegelt sie deine Liebe wider und zeigt die Wichtigkeit des Verlorenen.
Wie ist das bei dir? Wurdest du schon mal mit einem der Irrglauben konfrontiert? Schreibe es gerne in die Kommentare!
3 Antworten
Hallo Katy,
danke dir für deine Beiträge, die ich immer noch wie ein Schwamm aufsauge, weil ich mich in ihnen wiederfinde. Es ist so wahr und richtig, was du schreibst … bei mir: zu meiner Trauer um meinen verstorbenen Sohn kommt jedesmal eine Trauer in mir hoch, wenn ich nach einem schönen Omatag mein noch kleines Enkelkind verlassen muss. Sie ist die Einzige, die mich zu einem Lachen im Jetzt hinbringen kann. Dieser Abschied tut jede Woche neu weh, tatsächlich.. Aber ich zeige und sage es meiner Tochter nicht, um sie nicht zu belasten.
2017 ist mein Sohn gestorben und die Gespräche um ihn fehlen mir arg. Im Umfeld ist es still geworden, ein Austausch kaum mehr möglich. Es bleibt nur die sog. Therapie in einer Klinik oder im Krankenhaus und damit wird die Annahme einer „Krankheit“ für die Menschen im Umfeld besiegelt. Tatsächlich, ich muss wirklich aufpassen, dass ich mich nicht „krank“ fühle
und somit mich selbst krank mache. .Ich nehme keine Tabletten und bleibe standhaft. Ja, es gibt keinen Kalender und kein Ablaufdatum, wie du schreibst, für die Trauer. Sie breitet sich bei mir besonders durch die Stille und durch die vielen Trigger mehr oder weniger und manchmal plötzlich aus.
Ja erst gestern wieder! Als ich meiner Freundin erzählte daß ich im Moment wieder mehr weine und das mnchmal Stunden lang. Ihre Antwort:so langsam muss es mal wieder gut sein…
Mein langjähriger Lebensgefährte starb vor 2 Jahren an Krebs, und ich komme nicht klar damit! Schade das manche Menschen nicht verstehen, wie schlimm das ist….
Liebe Alexandra, danke für das Teilen deiner Erfahrungen. Leider ist dieser Irrglaube, dass Trauer nur eine gewisse Zeit andauert, immer noch in den Köpfen so vieler Menschen verankert. Umso wichtiger ist es, immer wieder darauf hinzuweisen und darüber zu sprechen. Es ist okay immer wieder die Momente der Traurigkeit zu haben und mehr zu weinen. Das ist ganz normal und gehört zu einem Trauerprozess dazu. Vielleicht kannst du zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal mit ihr darüber sprechen und ihr erklären, was solche Aussagen mit dir machen und sie für das Thema sensibilisieren.
Wir senden dir eine große Umarmung und liebe Grüße, Stefanie vom SeelenSport Team