Nach einem Verlust wünschst du dir, diesen realisieren und verarbeiten zu dürfen. Du möchtest ihm Raum und Zeit geben dürfen, dich mit ihm auseinandersetzen, ihn verstehen können, dich selbst und deine Gefühle verstehen lernen und eine helfende, empathische Hand an deiner Seite haben. Die Realität schaut leider oft anders aus. Du bekommst zu wenig Zeit. Egal, wie oft du all das Geschehene entschlüsselst und durchdenkst, du verstehst einfach nicht, wie es dazu kommen konnte. Das Gefühlschaos überfordert dich weitgehend und die helfenden Hände sind selbst schnell überfordert. Und als wäre dies nicht genug, sind ständig wieder diese großen Hürden im Weg. Du versuchst darüber zu springen oder auszuweichen. Manchmal gelingt dir der Sprung, ein anderes Mal stolperst du. Ich kenne diese Hürden. Und ich kenne das Stolpern. Wenn du sie richtig angehst, kannst du daran wachsen und stärker werden. Ich zeige dir wie.
Der Hürdenlauf
Nach dem Tod eines geliebten Menschen erwarten dich vom ersten Tag an unzählige Hürden. Manche können ziemlich hoch sein, wodurch du leichter stolperst. Wie sollst du so hoch springen können, wenn du es vorher nie trainiert hast? Stolpern ist also vorprogrammiert.
Am Anfang war die Beerdigung für mich eine der größten Hürden.
Besonders, weil sie öffentlich bekannt war und sehr viele Menschen teilgenommen haben. Sie war wie ein Hürdenlauf, bei dem kleine zahlreiche Hürden in diese eine unmöglich zu bewältigende Hürde mündeten. Mir war klar, egal wie hoch ich zu springen versuchte, ich würde ordentlich stolpern. Die kleinen Hürden waren alles Organisatorische, das eine Beerdigung so mit sich bringt. Jedes Mal, wenn ich vor einer neuen Hürde stand, machte sich Angst und Panik in mir breit. Ich wollte jede einfach nur irgendwie überleben. Entweder rebellierte ich innerlich und reagierte voller Zorn, Angst, Heulattacken oder mein Körper streikte ganz einfach, indem er mich regelrecht in die Knie zwang und nur noch halbherzig funktionierte. Als die größte Hürde dann kam, nahm ich mir fest vor, keine Schwäche zu zeigen und möglichst stark zu bleiben. Es ist kein angenehmes Gefühl sich derart geöffnet und schmerzerfüllt vor einer so großen Masse an Menschen zu zeigen. Diese von mir geglaubte Schwäche lag ich mir selbst auf. Sie entstand aus einer gesellschaftlichen Haltung heraus, die nichts mit dem eigentlichen Wesen des Menschen zu tun hat. Wer weint ist schwach, das wurde uns oft beigebracht. Heute weiß ich, dass das Zulassen der eigenen Gefühle, dazu zu stehen und offen damit umgehen zu können, eine der größten Stärken ist. Die Hürde Beerdigung ist eine der mächtigsten und kann von kaum jemandem mit Bravour gesprungen werden. Haben wir doch alle wenig Training und Erfahrung in dieser Art des Hürdenlaufs. Und doch ist sie notwendig und ermöglicht dadurch einen Abschied, ein Ritual.
Geht es um andere Verluste, wie Trennungen, Scheidungen, Verlust der Gesundheit oder des Jobs erwarten dich genauso Hürden, die es zu überwinden gilt.
In diesem Fall kommen ebenso alle besonderen Tage ein erstes Mal ohne den geliebten Menschen auf einen zu. Andere Hürden, wie die Klärung über gemeinsame Möbelstücke, die Fragen aller Bekannter, oder die Scheidung selbst sind zusätzlich vorprogrammiert. Vor allem, wenn gemeinsame Kinder da sind, kosten die Hürden besonders viel an Kraft. Ein regelrechter Hürdenlauf also. Und wenn wir unsere Gesundheit verlieren? Dann sind es die zahlreichen Untersuchungen und Krankenhausaufenthalte, die den Hürdenlauf bilden. Sich immer wieder selbst zu ermutigen darüber zu springen, auch wenn damit Ängste vor dem Ergebnis oder körperliche Schmerzen verbunden sind. Das verlangt viel an Überwindung. Hast du deinen Job verloren erwartet dich ein Hürdenlauf an Vorstellungsgesprächen. Sie können sehr unangenehm sein, besonders dann, wenn du stolperst und den erhofften Job nicht bekommst. Egal welcher Verlust, der anschließende Hürdenlauf bleibt dir nicht erspart.
Auch auf die nachfolgenden Hürden, war ich nicht annähernd vorbereitet. Mein eigener Geburtstag, Weihnachten, Silvester, Larissas Geburtstag, der erste Arbeitstag, diverse Vorstellungsgespräche, eine neue Beziehung eingehen, Prüfungen zu meistern und noch viele weitere kamen auf mich zu. Ich hatte enorme Angst vor dem was kam: Dass ich wieder durch die Gefühle und die körperlichen Reaktionen ins Stolpern käme. Dass die Hürden zu hoch wären und ich überhaupt nicht drüber kommen würde. Daher versuchte ich sie immer wieder irgendwie zu umgehen, in dem ich diese Termine nach hinten verschob oder mir einredete, dass dieser besondere Tag, doch ein ganz normaler Tag und ein ganz normales Datum sei. In diesem Fall stolperst du erst recht.
Umgehst du die Hürden, kommen sie doppelt und dreifach zurück. Dir bleibt also nichts anderes, als sie zu nehmen.
Doch du musst nicht immer daran stolpern. Du kannst im Hürdenlauf besser werden, indem du beginnst daran zu arbeiten und darauf hin zu trainieren. Dann springst du nicht nur darüber, sondern kannst an jeder einzelnen wachsen und stärker werden.
Wachse an jeder einzelnen Hürde
Hast du schon einmal darüber nachgedacht, nach dem Stolpern über eine Hürde einfach liegen zu bleiben und nicht mehr aufzustehen? Ich habe sehr oft daran gedacht. Besonders am Anfang. Und doch bin ich immer wieder aufgestanden und habe bereits die nächste Hürde im Blickfeld gehabt. Und auch du bist immer wieder aufgestanden, sonst würdest du wohl nun nicht hier sitzen und diesen Text lesen.
Wenn es uns Schwestern mal schlecht ging, sagte Larissa immer: Hinfallen, aufstehen, Krone richten und weitergehen.
Jedes Mal, wenn ich stolperte und die Anstrengung einer Hürde auf mich nahm, musste ich an diesen Satz denken. Und jedes Mal hat er mich dazu gebracht wieder aufzustehen. Auch bei dir muss es etwas geben, das dich immer wieder vorantreibt und motiviert diese nächste Hürde zu nehmen. Halte einmal kurz inne und überleg dir genau, welche Hürden du schon nehmen musstest. Wie viele über welchen Zeitraum hinweg? Und wie oft bist du an diese Hürden mit einem inneren Druck heran gegangen, dem du nicht standhalten konntest? Der dich deshalb umso mehr stolpern ließ und dir deine restliche Kraft herauszog. Wo stehst du jetzt, wenn du an eine nächste Hürde denkst? Macht sie dir noch Angst oder siehst du sie eher als eine Herausforderung an? Ich möchte dein Blickfeld darauf richten, was du bisher geschafft hast. Mir welcher Kraft und Stärke du deinen Verlust durchgestanden hast. Du kannst unfassbar stolz auf dich sein!
Als langsam die Zeit nach dem Tod meiner Schwester verging und ich zahlreiche Hürden überlebt hatte, wurde mir immer bewusster, dass ich jede noch so große Hürde im Leben überstehen könnte. Wenn ich es wollte und wenn ich auch an mir selbst dafür arbeitete.
Denn die größte Hürde war nicht die Beerdigung, es war der Umgang mit dem Tod selbst und die Trauer um meiner Schwester.
Diese Hürde, die all die kleineren Hürden beinhaltete, sprang ich schlussendlich mit einer Kraft, die größer war, als was mir bis Dato bekannt war. Aber nur weil ich all die kleineren Hürden in Angriff nahm, nur weil ich mich diesen stellte und nur weil ich daran immer wieder stolperte und aufstand.
Dieses Bewusstsein dafür erhielt ich nicht über Nacht oder durch eine weitere Hürde im Leben. Nein, ich erhielt es beim Sport.
Hole dir für 0,- Euro dein SeelenSport® Erste-Hilfe-Kit für deinen Traueralltag bestehend aus zwei Körperübungen und einer großen Portion Mut!
Genau genommen beim Hürdentraining selbst. Gerade dort, wo ich die Hürden direkt vor Augen geführt bekam, sie vor mir standen und ich sie durch die Fähigkeiten meines Körpers überwinden musste. Ein kleiner Sprung auf eine Box oder über einen Stein, erschien mir nahezu unmöglich am Anfang. Immerhin habe ich gerade erst wieder normal gehen lernen müssen, weil ich eine Knieoperation hatte und ein neues Kreuzband bekam. Ich erkannte schnell, dass mein Körper dazu schon längst wieder fähig war. Nur mein Kopf stand mir im Weg und blockierte mich. Also stellte ich mich vor die Hürden und sagte mir immer wieder laut: „Katrin, du schaffst das. Und wenn du stolperst, dann stehst du halt wieder auf und probierst es noch einmal.“
Mit jedem Versuch und jedem Hürdentraining, fiel mir die Überwindung leichter, das Stolpern wurde als ein dazugehörender Teil akzeptiert und ich konnte besser und höher springen.
Nicht nur körperlich war ich danach fähig Hürden in Angriff zu nehmen, sondern auch in meiner Trauerprozess. Jede neue bevorstehende Hürde wurde vorher analysiert und ich bereitete mich mental darauf vor. Ich stellte mich jeder einzelnen Hürde und ging mit dem Gedanken heran, daran stolpern zu können. Deshalb wurde das Stolpern nicht weniger, aber weil ich mich im Vorhinein damit auseinander setzte, wurde es nicht mehr so schlimm und ich stand dann sofort wieder auf. Ich untersuchte das Stolpern und versuchte den Sprung beim nächsten Anlauf besser zu machen. Egal, ob es sich um eine Prüfung, ein Vorstellungsgespräch, einen Jahrestag, ein Treffen, ein Date oder sonstige Hürde handelte, jede einzelne ging ich mit dem gleichen Gedanken an.
Fang an deine Hürden zu bewältigen
Überlege einmal für dich, welche Hürden in nächster Zeit auf dich zukommen werden. Nimm dir einen Gegenstand über diesen du drüber springen möchtest. Benenne ihn als eine deiner nächsten Hürden. Zb. der nächste Geburtstag. Für viele eine enorm große Hürde. Setz den Gegenstand vor dich hin und werde dir bewusst, dass dich diese Hürde bald erwartet. Sprich dir gut zu, dass du sie bestreiten wirst, darüber springen wirst und sie nicht umgehen wirst. Halte dir vor Augen, dass, egal wie du dir diesen Sprung vornimmst und ihn planst, du trotzdem daran stolpern kannst und das Geplante vielleicht nicht eintreffen wird. Und sag dir dann aber gleich, dass du trotzdem weitermachen und jede weitere Hürde angehen wirst und sie als eine neue Chance betrachtest. Und dann trau dich, spring über diese Hürde mit all deiner Kraft. Hast du den Sprung gemeistert, dann sei stolz und wachse an diesem Gefühl und spring gleich nochmal. Bist du gestolpert, dann steh auf und sag dir, dass es ok ist und du trotzdem mega stolz sein kannst, weil du immerhin den Versuch gewagt hast. Und ja spring nochmal und trau dich und du wirst besser werden. Du kannst auch einen ganzen Hürdenlauf basteln und dich daran üben. Mit jeder gesprungenen Hürde, werden die Hürden deiner Trauer ebenfalls leichter zu bewältigen sein. Glaub an dich und du kannst alles schaffen!
Hier noch ein kleiner Einblick in ein Hürdentraining auf meinem Dach: Auch der Regen und die Kälte war hier eine Hürde für mich, die ich einfach gesprungen bin 😉
Welche Hürde war für dich nach deinem Verlust die Schwerste? Woran bist du schon gestolpert?