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„Ich wollte nichts spüren“ – Alkoholkonsum in der Trauer

Alkoholkonsum ist in unserer Gesellschaft etwas vollkommen Normales. Doch hinter vielen Gläsern stecken Menschen mit Geschichten, die den nächsten Schluck nehmen, um genau diese Geschichten nicht spüren zu müssen. Denn sie tun weh und Alkohol macht es uns durch die gesellschaftliche Akzeptanz leicht, ihn einfach zu verwenden. Damit können wir den Schmerz betäuben, ohne uns rechtfertigen zu müssen. Denn das müssen wir meist nur, wenn wir keinen trinken. Die Gefahr in eine Sucht zu schlittern, ist besonders in der Trauer groß. Auch ich war davon betroffen. Meine Geschichte und Hilfe wenn du selbst betroffen bist, kannst du nachfolgend erfahren.

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Ich war schon seit meiner Kindheit mit dem Thema Alkoholsucht vertraut, denn in meinem familiären Umfeld gab es Menschen, die genau diese Suchtkrankheit hatten. Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt eine Familie gibt, in der es keinen einzigen betrifft. Ich kenne kaum solche, zumindest fällt mir grad keine spontan ein. Ich glaube, das sagt schon viel über uns als Gesellschaft und unseren Umgang mit psychischen Problemen in vergangenen Generationen aus.

Mein Alkoholkonsum in der Jugend

In meiner Jugend war es üblich, jedes Wochenende auszugehen und sich zu betrinken. „Macht ja irre Spaß und alles ist so viel lustiger“ war das klassische Argument. Das war es tatsächlich. Ein paar Schlucke oder Gläser und du konntest ausgelassen über jeden Blödsinn kichern. Doch irgendwann kam immer ein anderer Punkt. Der, an dem das Kichern in einen emotionalen oder diffusen Zustand überging. Dann hast du alles beweint oder nahmst deine Umgebung nur noch verschwommen wahr. Der nächste Tag war sowieso immer für den Arsch, wenn ich es so ausdrücken darf. Katerstimmung, die sich nie gut angefühlt hatte. Aber ich war ja noch jung und dementsprechend war es gut auszuhalten. Das Wochenende drauf war alles Vergessen und nur noch die Erinnerung an die lustigen Momente waren da. Sie trieben dich an, wieder zum Glas zu greifen. Herrlich, die ausgelassene Stimmung. Dafür nehmen wir doch gerne die Schattenseiten in Kauf.

Studienzeit

Im Studium wurde es schlimmer. Ich arbeitete noch dazu mehrere Abende in einer Bar. Trinken, ganz normal. In dieser Zeit war ich mit familiären Herausforderungen konfrontiert, hatte übliche Beziehungsprobleme, mein Selbstbewusstsein war im Keller. Die Woche kämpfte ich mich durch die Uni mit Ausblick auf den ersten Schluck am Wochenende. Da konnte ich endlich wieder ausgelassen sein, alles für den Moment vergessen. Während des Trunkenheitszustandes war meine Welt glücklich und perfekt. Alle Probleme waren ausgeschaltet. Bis zu dem einen Moment, an dem alles wieder kippte und ich im Selbstmitleid versunken war.

An vielen Tagen überlegte ich nichts mehr zu trinken. „Das nächste Wochenende trinkst du mal nichts“, sagte ich mir ständig. Und doch griff ich wieder zum Glas. Denn mich selbst nüchtern ein ganzes Wochenende aushalten, wäre noch schwerer gewesen, als den Kater durchzustehen.

Der Mord un der Totalabsturz

2013 bekam ich aufgrund einer Operation eine Thrombose. Ich durfte vier Monate nichts mehr trinken. Das machte mir schon ein bisschen Angst. Absurd wenn ich heute daran zurückdenke. Überleben wollte ich aber mehr, also hielt ich mich daran. Und erkannte: Nüchtern sein ist gar nicht so übel. Sogar das Gegenteil: Ich fühlte mich vitaler und gesünder. Und so schwer war es dann doch nicht mich auszuhalten. Allerdings ging es mir zu dieser Zeit gut und ich hatte keine der früheren Probleme. Trotzdem gab es den kleinen Teufel in mir, der sich nach Genesung für den Alkohol aussprach. Thrombosefrei griff ich bei einer Hausparty wieder zu den Gläsern. Es wurden wohl die Schlucke, die ich in meinem Leben am meisten bereute. Am nächsten Tag war meine Schwester von ihrem Freund ermordet. In meinem Buch „Larissas Vermächtnis“ beschreibe ich diese Zeit.

Anstatt mich mit meiner Trauer zu befassen, trank ich. Diesmal beinahe jeden Tag. Und immer öfter harte Sachen wie Schnaps, Whiskey und Tequila. Der Schmerz war unerträglich und die Betäubung half mir meinen Alltag wieder aufzunehmen. Das dachte ich zumindest. Denn die Mengen mussten dafür stetig größer werden, der Kater wurde demnach auch schlimmer und die emotionalen Löcher danach verschluckten mich förmlich.

Die Veränderung

Mein Körper wurde schwächer, ich bekam viele psychosomatischen Symptome, brach immer wieder zusammen. Und dann waren da plötzlich die Blackouts. Ich ging mit Freunden aus, konnte mich noch erinnern, wie ich in die Bar schlenderte. Dann wachte ich auf. Verwirrt und kotzübel lag ich im Bett und wusste von nichts. Mir wurde klar: Wenn du überleben und nicht gänzlich in einer Sucht enden willst, musst du aufhören!

Wir hatten bereits Frühjahr 2014 und ich begann gerade mit dem Sport. Damit erkannte ich erstmals, wie sehr ich mich nicht mehr gespürt hatte und wie schlecht es mir tatsächlich ging. Ich stoppte von heute auf morgen den Alkoholkonsum. Ein Jahr trank ich bis auf ein paar Gläser, die ich an einer Hand abzählen konnte, gar nichts. Diese Entscheidung veränderte mein Leben und bis heute kann ich jährlich die Gläser an der Hand abzählen, die ich konsumiere. Ein Glas am Geburtstag, eines im Urlaub beim Essen usw.

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Größte Herausforderung beim Verzicht

Das Verzichten allein war gar keine große Herausforderung für mich. Ich hatte einen eisernen Willen, etwas zu verändern und mit dem Sport und meiner Ernährungsumstellung noch dazu fiel mir das ziemlich leicht. Ich war auch noch nicht klassisch süchtig, sondern mir fehlte einfach nur eine andere gesunde, für mich stimmige Möglichkeit, mit mir und meiner Trauer und den Gefühlen umzugehen.

Was jedoch herausfordernd war, waren die Kommentare von anderen. Ich hatte das Gefühl, mich ständig rechtfertigen zu müssen. Egal, ob am Abend in einer Bar, beim Ausgehen und Tanzen, auf einem Festival, auf einer Geburtstagsfeier… Eine Person gab es immer, die ein scheinbar großes Problem damit hatte, dass ich nichts trinke. Ich erkannte schnell: Das jedoch sagt viel mehr über die jeweilige Person als über mich selbst aus. Da kam die Frage danach, ob ich schwanger sei, ob ich krank sei oder es waren Beleidigungen wie „du bist ja voll die Spielverderberin/Langweilerin“. Manche versuchten mich zu drängen und gaben nicht gleich auf: „Ach das eine Glas tut doch jetzt nichts.“; „Komm schon, einen Schluck wenigstens ha.“; „Der eine Schnaps schadet dir doch nicht.“.

Es war enorm anstrengend, dagegen vorzugehen, sich zu erklären, zumal die meisten schon etwas angetrunken waren. Irgendwann hab ich begonnen, ziemlich harsch zu antworten: „Meine Schwester wurde ermordet. Der Alkohol macht mich krank und abhängig.“ Es war immens unangenehm, mich fremden Menschen in einer so ungeschützten Umgebung zu öffnen, aber nur so kam es auch deutlich bei ihnen an und sie ließen von mir ab.

Trotzdem wünschte ich mir so sehr, dass sich dafür niemand rechtfertigen oder erklären muss. Wenn du ein Problem damit hast, dass ich nicht trinken möchte, dann frag dich selbst an der Stelle: Warum kommst du damit nicht klar? Was löst es bei dir aus?

Warum Alkoholkonsum (auch kleine Mengen) keine Lösung ist

Wenn wir trauern, ist es wichtig, dass unsere Gefühle raus kommen dürfen. Jede Träne, jedes Fühlen und sich damit auseinandersetzen schafft dir Erleichterung und ein Vorankommen. Der Alkohol stoppt diesen Prozess auf vielen Ebenen. Du glaubst, wenn du dich betäubst, wird es leichter, weil du weniger spürst und dich gelassener fühlst (zumindest bei einer bestimmten Menge). Was aber wirklich passiert, ist eine Verschiebung. Wir können mit Alkohol Gefühle nicht langfristig auflösen und denken, nach einem Jahr zusaufen ist es dann besser oder gar weg. Die Gefühle werden genauso noch da sein, wenn nicht sogar intensiver, weil sie sich praktisch aufgestaut haben und nie rauskommen durften. Sie wurden nur verschoben.

Deshalb sind auch die kleinen Mengen keine Lösung. Denn bereits bei zwei bis drei Gläsern spüren wir eine leichte Gelassenheit, die uns die Möglichkeit nimmt, den Trauerschmerz gesund abzubauen. Außerdem werden die drei Gläser irgendwann nicht mehr reichen diesen Zustand herbeizuschaffen. Du brauchst mehr, immer mehr. So wie bei mir. Manchmal trank ich am Ende eine ganze Flasche Wein allein und noch dazu ein paar Shots.

Körperliche Folgen bei Alkoholkonsum

Auch auf körperlicher Ebene weißt du bereits, dass du deinem Körper nichts Gutes damit tust. Alkohol ist nämlich ein Zellgift. Durch die Trauer muss dein Körper schon immens viel Kraft aufbringen. Er ist erschöpft vom vielen Weinen und auch den ganzen anderen Gefühlen, die sich auf körperlicher Ebene durch Verspannungen etc. zeigen. Der Alkohol schwächt den Körper noch mehr.

Die unmittelbaren Reaktionen des Körpers sind dir bestimmt bekannt. Nach ein paar Gläsern bist du unkonzentrierter, redest mehr, torkelst schon leicht, bist weniger aufmerksam, verwirrter, wirst erst wacher, dann später müde. Je mehr du trinkst, desto mehr muss dein Körper dann kämpfen. Dir wird übel und du musst dich erbrechen, ab drei Promille kann es zum Koma und Atemnot kommen, ab vier schließlich zum Ausfall der lebenswichtigen Organe.

Langfristig verursacht der regelmäßig erhöhte Konsum von Alkohol auch viele körperliche Beeinträchtigungen. Alkohol wird über die Leber abgebaut, dadurch kommt es bei langjährigem starken Konsum zu einer Leberschädigung (Fettleber, Leberzirrhose). Aber auch andere Organsystem werden angegriffen und in Mitleidenschaft gezogen: Herz, Magen, Darm, Speiseröhre, Nervensystem, Haut, Gehirn. Zudem steigert es natürlich die Möglichkeit einer Krebserkrankung. Auf allen Ebenen ist der Alkohol besonders in der Trauer, also absolut nicht zu empfehlen.

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Wie du dir helfen kannst

Nicht jedes Glas, auch wenn du trauerst, bedeutet eine Gefährdung oder ein Suchtpotenzial. Ein Glas Sekt zum Anstoßen bei einer Feier wird dich nicht sofort abhängig machen. Viel mehr geht es darum sich selbst zu beobachten und zu hinterfragen:

Wann trinkst du, mit wem und wie viel?

Gleich frühmorgens und allein? Mit Freunden? In Gesellschaft? Beim Essen? Am Wochenende? Ein Glas oder werden es immer mehr?

Warum trinkst du?

Das ist ebenso entscheidend! Tust du es weil du ein leckeres Abendessen genießt und ein alkoholisches Getränk ebenso als Genussmittel verwendest, sprich auch langsam trinkst? Oder stehen Gedanken dahinter wie: Ich möchte mich entspannen, den Alltag hinter mir lassen und vergessen, mal nicht an meine Probleme denken müssen. Du weißt es selbst oder? Zweiteres birgt die große Gefahr dahinter, bald nicht mehr ohne dieses Mittel entspannen etc. zu können. Du kannst abhängig davon werden. Wenn du das bereits bei dir merkst, muss es keinesfalls zu spät sein. Wir können immer etwas ändern! Aber es gilt je früher, desto leichter wird es dir fallen!

HOL DIR HILFE!

Wenn du bereits ein Muster erkennst und spürst, dass du dich selbst schwer tust den Alkohol wegzulassen, dann ist es fast unmöglich alleine da raus zu kommen. Da bin ich ganz ehrlich. Ein starker Wille ist unerlässlich, aber eine starke Begleitung bzw. Austausch ebenso. Auch ich war damals in therapeutischer Behandlung. Du musst neue Wege finden mit den Gefühlen und Krisen auf gesunde Art umzugehen. Darüber zu sprechen und gemeinsam herauszufinden wo hier DEIN persönlicher (Aus)weg liegt kann heilsam sein. Sei offen dafür und schäme dich nicht. Ich habe das auch nicht alleine hingekriegt.

Hier findest du erste Infos:

Alkoholhilfe Deutschland

Generell bekommst du immer tolle Hilfsangebote je nach Region, wenn du nach Alkohol Hilfe und deiner Umgebung suchst! Trau dich und lass dir helfen!

Bist du selbst betroffen oder jemand aus deiner Familie? Teile deine Erfahrungen gerne in den Kommentaren!

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