Einmal im Jahr findet Muttertag statt. Für viele ein besonderer Anlass der geliebten Mama die Dankbarkeit auszudrücken und entgegen zu bringen. Eigentlich sollte das jeden Tag passieren und selbstverständlich sein, aber es gibt nun mal diesen besonderen Tag und er hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft eingenommen. Was aber, wenn plötzlich keine Mama mehr physisch da ist? Was, wenn ein Kind stirbt und dieser Tag als Mama nicht mehr aktiv gelebt werden kann? Das tut unfassbar weh. Nicola Kühn hat ihre Mama verloren. Wie sie damit umgegangen ist und was sie an Muttertag macht erzählt sie im Interview.
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Erzähl doch mal, wie war deine Mama so als Mensch? Was war das besondere an ihr?
Zunächst einmal sind meine Mama und ich uns in einigen Dingen sehr ähnlich. Das habe ich aber erst jetzt so richtig verstanden, nachdem sie verstorben ist.
Sie war ein sehr kreativer Mensch. In einem ganz anderen Bereich als ich, aber ich habe oft gedacht, wenn sie damals schon die Möglichkeiten gehabt hätte, wie wir sie heute haben, dann wäre sie vielleicht eine der ersten Food-oder Interior-Bloggerinnen gewesen.
Sie hat unglaublich gut gekocht mit den besten und immer frischen Zutaten und gute Qualität war ihr immer wichtiger, als der Preis. Zu Sparfüchsen in unsrer Umgebung hat sie immer gesagt: „kaufst Du billig, kaufst Du zweimal.“ Sie liebte gute Dinge. Auf der anderen Seite war nicht alles rosig und wir haben uns oft gestritten.
Deine geliebte Mama ist gestorben. Was ist passiert und wie bist du mit ihrem Tod umgegangen?
Meine Mama war sehr krank und ist an Krebs und letztlich Organversagen verstorben.
Der Arzt hat mir damals die Nachricht überbracht, dass meine Mama wahrscheinlich nicht mehr lange leben würde. Die Ärzte haben dann noch eine palliative Therapie (das ist ein spezieller Eingriff, der mit einem Embolisat den Krebs am Wachsen hindern soll).
Wir haben es uns lange überlegt und haben diese Therapie ergriffen.
Leider hat es keinen Erfolg gebracht und die Prognose hat sich mehr oder minder bewahrheitet, so dass meine Mama nach wenigen Monaten verstorben ist.
In dem ganzen Prozess von Untersuchungen bis hin zum Tod war ich ständig bei meinen Eltern. Ich habe mich mit gekümmert, habe den Pflegedienst mitorganisiert und die SAPV mit ins Boot geholt, ich habe zum nächsten Hospiz Kontakt aufgenommen und einen Termin gemacht, ich war bei allen Untersuchungen dabei. Ich habe es einfach gemacht. Ohne darüber nachzudenken. Es war unglaublich zehrend. Aber ich wollte einfach da sein. Es war mein Liebesbeweis für meine Mama. Ihr zu zeigen, jetzt will ich nicht mehr nachtragend sein, sondern ich bin da!
Meine Mama konnte nur noch wenig sprechen und die Gedanken waren sprunghaft. Ich habe auch immer wieder versucht mit ihr über das Thema Sterben und Tod zu reden, doch sie wollte es nicht. So musste ich akzeptieren, dass diese Gespräche nicht mehr stattfinden werden. Das war anfangs schwer. Zu gerne hätte ich mit ihr nochmal gesprochen.
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Schließlich habe ich dann einen anderen Weg der Kommunikation gewählt und zwar den der nonverbalen. Ich habe ihre Hände gestreichelt oder ihre Füße massiert und darüber habe ich gemerkt, dass es nicht immer der Worte bedarf um miteinander zu sprechen. In dieser Zeit ist bei mir viel passiert, wo ich gemerkt habe; es ist nichts mehr wichtig und es steht nichts mehr zwischen uns. Und so konnte ich den Sterbeprozess ganz bewusst wahrnehmen und mitgehen. Darüber bin ich immer noch sehr dankbar. Auch in den letzten Sekunden war ich bei ihr. Ich habe ihr dann gesagt, dass sie gehen darf und dass sie keine Angst haben braucht. Diese plötzlich entwickelte Stärke hatte ich noch nie gespürt.
Was hättest du dir von der Gesellschaft gewünscht, bzw. was wünschst du dir in Bezug auf Tod und Trauer?
Ich persönlich hatte keine Vorstellung von Menschen, wie sie reagieren sollen. Dementsprechend war ich auch nicht zu sehr enttäuscht. Bis auf ein paar wenige Menschen, die nicht oder kaum reagiert haben, die schnell zur Tagesordnung übergingen, habe ich mir selber vertraut, dass ich damit umgehen kann. Ich hatte aber auch einige ganz tolle Freunde, die zwar örtlich nicht sehr nah dran waren zum Teil, aber immer wieder nachgefragt haben. Das war mir sehr wertvoll.
Auch war eine Freundin in den letzten Tagen immer wieder bei meiner Mama. Ich habe unverhoffte Hilfe erfahren, ganz praktisch und auch in Gesprächen.
Ein paar Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung haben mich enttäuscht. Anfangs war ich ärgerlich. Bis ich ziemlich schnell gemerkt habe, dass es ihre eigenen Ängste sind, mit denen sie konfrontiert werden und dass ein Umgang mit Trauernden einfach nie gelernt wurde.
Daher ist mir die Änderung der Trauerkultur ein Anliegen, gemeinsam mit den verschiedenen Professionen beizutragen, dass Tod und Trauer in gewisser Weise lebendiger und in unsere Mitte geholt werden. Es ist schon sehr schizophren, dass dieses Thema, was uns ALLE einholt so verdrängt und tabuisiert wird, dabei geht es uns ja ausnahmslos alle an. Wenn sich hier etwas ändert, können Ängste genommen werden und der Umgang wird sich nach und nach verändern!
Aus deinem Schicksal heraus hast auch du eine neue Richtung in deiner Arbeit gefunden. Wie schaut deine Arbeit aus und was bedeutet dieser neue Schwerpunkt Trauer für dich?
Sagen wir so, das Thema Tod und Sterben war schon etwas früher in meinen Gedanken und dass ich damit gerne beruflich etwas machen möchte, in welcher Form war mir jedoch noch nicht so klar. Die Umsetzung kam dann erst nach der traurigen Begebenheit und natürlich erst nach einiger Zeit. Das war aber ein Prozess! Da ich meinen Beruf als selbstständige Grafikdesignerin liebe und auch mein Gebiet des Corporate Designs sowie alles was in den Bereich Print fällt und ich damit Selbstständige und KMU unterstütze, lag es mir auf der Hand durch eigene Erfahrungen und meinem Wissen damit mich auf die Nische der Trauerkultur zu fokussieren. Nach und nach sind auch Ideen für Produkte für Trauernde entstanden, die ich umgesetzt habe und verkaufe. So wie meine Luftballonkarten „Himmelsgrüße“ für Abschiede. Ich möchte gerne mehr umsetzen, und hoffe, dass die Zeit dafür kommt.
Rituale für Trauernde und kreatives Trauern haben es mir besonders angetan. Zu meinen regulären Kunden, sind Kunden im Bereich Trauerkultur hinzu gekommen. Gerade beide Bereiche machen mir unheimlich Spaß und mit der Beschäftigung der Endlichkeit, Tod und Sterben erfahre ich eine ungeheure Lebendigkeit und Tiefe. Ich kann Empathie, Feingefühl und mein Know-how aus meiner Tätigkeit als Designerin sehr gut damit verbinden.
Es ist Muttertag. Ein umso schmerzvollerer Tag für dich. Welche spezielle Bedeutung hat dieser Tag für dich? Damals und heute nach dem Tod deiner Mama? Was machst du an diesem besonderen Tag?
Früher bin ich immer mal wieder auf die Felder gefahren und habe Blumen gepflückt für meine Mama, den Frühstückstisch gedeckt und solche Sachen. Für mich ist jeder Tag Muttertag, seit meine Mama verstorben ist. Warum? Weil ich jeden Tag an sie denke. Was mir dabei hilft ist, dass ich immer wieder mit ihr spreche und ihr erzähle. Ich habe das Gefühl, dass Verstorbene immer noch Anteil an unserem irdischen Leben haben, wenn man sie einbezieht. Der Kontakt ist nicht weg, er hat sich transformiert in etwas Neues. Ich bin auf einem runden Geburtstag von meinem Onkel (ihrem Bruder) und ich nehme sie einfach gedanklich mit! Und natürlich werde ich ihr Grab besuchen (das auch ein ganz wichtiger Platz für mich ist) und eine Kleinigkeit vorbei bringen. Mir fallen immer Dinge ein. Das Gute ist ja, dass die Kreativität genauso wie Bewegung/Sport eine ganz große Ressource in der Trauerarbeit sind. Wir müssen sie nur anzapfen!
Was bedeutet für dich Bewegung in der Trauer?
Während meiner intensiven Trauerzeit bin ich sehr viel draußen gewesen. Überhaupt hilft mir z.B. das schnelle Gehen sehr, was für mich auch ein Ausdruck von Bewegung ist, wenn auch kein Sport. Ich habe anfangs Pilates und Yoga gemacht. Auch das hat mir geholfen, wobei es mir dabei mehr nach fließenden Bewegungen war. Aber Trauer wandelt sich und so auch der Ausdruck in Bewegung.
Fest steht, dass für mich Bewegung ein ganz großer Anteil in der Trauerarbeit hat!
Was möchtest du unbedingt noch erleben?
Ich würde gerne den Wandel zu mehr Integration der Themen Sterben & Tod in unsere Gesellschaft erleben und ein kleines Stück mitgestalten mit meinem Können & Tun. Mir geht es auch darum, dass Dienstleister & Unternehmen (z.B. Bestattungsunternehmen) in dem Bereich sich besser präsentieren dürfen, damit sie anders wahrgenommen werden. Der Tod muss nicht düster sein. Er darf auch Farbe haben.
Und noch viel mehr wünsche ich uns allen, die es möchten, dass wir individuell bestatten dürfen und somit auch bestimmen dürfen, wo unsere Verstorbenen ihre Ruhestätte finden. Und das kann auch der Platz der Urne im Wohnzimmerschrank sein!
Dein Lebensmotto, auch wenn es sich groß anhört, wie du sagst 🙂 ?
Wir schaffen viel mehr, als wir denken & jeder kleine Schritt zählt.
Vielleicht hört sich meine Erzählung etwas nüchtern an, aber die Begleitung meiner Mama war bisher das krasseste was ich erlebt habe und ich bin unendlich dankbar dafür!
Ich habe dabei gespürt, dass es hier auf Erde definitiv nicht zu Ende ist! Das hat mir Hoffnung und Mut gegeben.
Mehr Informationen zur Arbeit von Nicola Kühn: Soulful Graphic Design
Porträtbild: Daniela Knipper & Melanie Merz
2 Antworten
Grandioses Interview! Tolle Persönlichkeit, Nicola Kühn!! Ich wünsche mir dasselbe wie du 😉
Es sollte jedenfalls bunter und „alltäglicher“ werden – jedenfalls kein so ein Tabu mehr!
Liebe Michaela,
leider sehe ich jetzt erst Deinen Kommentar. Vielen Dank, das freut mich sehr!!!
Liebe Grüße, Nicola