Wie ist es als Kind zur Adoption freigegeben zu sein, die leiblichen Eltern nicht zu kennen? Trauer hat viele Gesichter. Babsi besuchte lange den SeelenSport Kurs in Innsbruck und kam mit einer ganz besonderen Lebensgeschichte zu mir. Sie wurde als Baby adoptiert, lernte nie ihre Mutter und ihren Vater kennen. Sie weiß heute, dass die Mutter mittlerweile verstorben ist. Wie wichtig die ersten Lebenswochen eines Menschen sind und wie intensiv die Auswirkungen sein können, liest du in der persönlichen Geschichte von Babsi.
Dies soll keine Verurteilung gegenüber Eltern sein, die sich entscheiden ihr Kind zur Adoption freizugeben. Die Hintergründe könnten unterschiedlicher kaum sein. Der Text soll lediglich die Sicht und Gefühlswelt des Kindes darstellen, um zu verstehen, wie unterschiedlich Trauerfacetten sein können. Genauso soll er anderen adoptierten Menschen Mut und Hoffnung geben, auch ihren Weg gehen zu dürfen und sich Hilfe zu holen, wenn sie überfordert sind. Dies ist keine Schande und besonders wertvoll. Danke an der Stelle an Babsi für ihren Mut.
„PS: Kind wird zur Adoption freigegeben”
Mit dieser Anmerkung in meiner Krankenakte erblickte ich vor 32 Jahren das Licht der Welt. Ich bin also ein Postskriptum, nicht gewollt von meinen eigenen leiblichen Eltern. Mein Vater wurde nie bekannt gegeben und meine Mutter gab mich zur Adoption frei. Ich wurde als Frühchen per Kaiserschnitt auf die Welt geholt und verbrachte meine ersten 5 Wochen auf der Neugeborenen Station des Krankenhauses, Mutter- und Vaterlos.
Mein größtes Geschenk erhielt ich in meiner 5. Lebenswoche. Es gab ein Ehepaar, das sich nichts sehnlicher wünschte, als vom Jugendamt den erlösenden Anruf zu erhalten, dass sie ein kleines Baby zu sich nach Hause nehmen können und dieses als wäre es ihr eigenes, lieben.
Mit der Adoption kam die Geborgenheit
Somit veränderte sich im Februar 1989 für drei Menschen alles. Ich war plötzlich gewünscht, gewollt, lang ersehnt von meinen Eltern. Sie gaben mir ein Zuhause voller Liebe, Wärme und Geborgenheit. Ihre bedingungslose Liebe, Fürsorge, Wertschätzung und Erziehung haben mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin. Ich habe bis dato zu ihnen ein sehr inniges, vertrauensvolles Verhältnis. Sie gaben mir immer den Rückhalt, alles erreichen zu können, wovon ich träumte. Als zusätzliches Geschenk gab es meine Oma mütterlicherseits. Von Anfang an verband uns zwei bedingungslose Liebe, als wäre ich ihre leibliche Enkelin. Sie wurde neben meinen Eltern zur wichtigsten Bezugsperson in meinem Leben.
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“Mama, war ich auch in deinem Bauch?”
Mit 4 Jahren stellte ich meinen Eltern die alles verändernde Frage: „Mama war ich auch in deinem Bauch?“ Ich kann mich heute noch an den Tag, das Wetter, den Ort und den Geruch von damals erinnern, als mir meine Eltern erklärten, dass ich in einem „anderen“ Bauch war, und wie es zur Adoption kam, dass die beiden meine Eltern wurden. Ich glaubte ihnen damals nicht. Für mich waren und sind sie meine Eltern, die bei all den wichtigen Meilensteinen, Entscheidungen, Misserfolgen, freudigen Ereignissen und in Gesundheit sowie Krankheit zu mir standen und heute noch stehen.
Und dennoch gab es da etwas Fremdes, Unbekanntes, Rätselhaftes, ohne das ich nicht auf dieser Welt wäre. Eine mir (un-)bekannte Frau hat mich über Monate in ihrem Bauch durchs Leben getragen und mich zur Welt gebracht. Sie konnte oder wollte nicht für mich sorgen. Was für eine schwere Entscheidung muss es für eine Mutter sein, das eigene Kind zur Adoption freizugeben? Was sind die Hintergründe? Bis heute bin ich auf der Suche nach Antworten.
Da ist immer diese Leere und Schwere
Ich hatte eine Kindheit wie im Bilderbuch, fürsorgliche Eltern, schöne Zeiten, eine großartige Oma und dennoch gibt es bis heute tief in mir drin eine enorme Leere und Schwere. Eine einfühlsame Psychiaterin beschrieb meinen Start ins Leben als „hineingeboren in ein Vakuum, wo frostige Polarkälte herrschte“. Mit dieser Beschreibung traf sie den Nagel auf den Kopf. Ich persönlich beschrieb meine Situation immer so, dass mir das gewisse Urvertrauen fehlt. Mein Leben lang hatte ich immer das Gefühl, das Krankenhaus sei ein sicherer Ort, denn er war ja auch mein Zuhause für meine ersten Lebenswochen. Ich fühle trotz all der Liebe und Geborgenheit, die mir meine Eltern all die Jahre mitgaben, dennoch bis heute ein Defizit. Mein Start ins Leben und die heutigen Beschwerden, die ich seit Jahren habe, werden von vielen Medizinern als (komplexe) posttraumatische Belastungsstörung umschrieben. Ich bin die letzten Jahre geplagt von Panikattacken, rezidivierenden Depressionen, Schlafstörungen und einer Angststörung. All dies entwickelte sich im Laufe meines Lebens.
Hilfe holen, wenn nichts mehr geht
Ich war und bin im Laufe der letzten 3 Jahre in intensiver psychiatrischer und psychotherapeutischer Therapie. Mehrere stationäre Aufenthalte, Reha Aufenthalte, Psychotherapie, Termine bei meiner Psychiaterin prägten meine letzten 3 Jahre. Eines haben all diese Stationen gemeinsam: Wenn ich mit Fachpersonen aus dem psychiatrischen Bereich über meine Beschwerden spreche und mein Leben schildere, dann läuft es immer wieder auf einen gemeinsamen Nenner hinaus:
Mein Start ins Leben und die erlebte Zeit im Bauch meiner leiblichen Mama. Und vor allem die schlussfolgernde Frage: Was hab ich wirklich alles mitbekommen, tief im Unterbewusstsein?
Daraus entwickelten sich Verhaltensmuster, aus denen zu entkommen mir kaum gelingt. Ich funktioniere nach außen hin, möchte den Menschen in meinem Umfeld entsprechen, ihre Erwartungen erfüllen, bin überangepasst, gebe für andere 150%, das Wohlbefinden der anderen hat einen wesentlich höheren Stellenwert als mein eigenes Wohlbefinden. Das alles, damit man mich gern hat und dass ich nicht wieder verstoßen und verlassen werde. Ich habe enorme Angst zu versagen und einsam zu sein, denn dann keimt in mir das Gefühl auch am Start meines Lebens allein gewesen zu sein auf. Ich kann nur schlafen, wenn ich mich wie ein Embryo zusammenrolle, das gibt mir ein gewisses Maß an Geborgenheit. Oft fühle ich mich ganz klein und verloren.
„Das Bild habe ich im Rahmen meines ersten Rehaaufenthaltes gemalt. Aufgabe der Therapeutin war damals, ich solle mich so hinlegen wie es meinem Empfinden entspricht und wie ich mich sicher fühle. Dabei entstand dieses Körperbild von mir, und symbolisiert gleichzeitig meine sichere Schlafposition. Eingerollt wie ein Embyro spüre ich am ehesten so etwas wie Geborgenheit. Das Bild entspricht mir auch heute noch und strahlt Sicherheit für mich aus.“
Ich kann den Weg gehen
Doch ich weiß auch, all das ist mein persönlicher Rucksack, den ich durchs Leben trage. Ich hoffe, dass es mir mit der Zeit und durch die intensiven Therapien gelingt, zu meinen eigenen Entscheidungen zu stehen und dass ich meine eigenen Stärken sehen kann, so wie sie viele in meinem Umfeld sehen können.
Ein Gedanke aus einem Gespräch mit einer Seelsorgerin blieb mir stark im Gedächtnis. Erlebnisse im Laufe unseres Lebens hinterlassen Narben, äußerlich wie auch innerlich. Und jede einzelne Narbe erzählt ihre ganz eigene Geschichte. Dies war ein Auszug aus meiner.
Bist du selbst adoptiert und wie war deine Erfahrung? Teile sie gerne in den Kommentaren!