Vor einiger Zeit war ich bei einem Trauercafe. Dort sitzen Trauernde zusammen und unterhalten sich über die Trauer, aber auch ganz andere Themen werden angesprochen. Bei einem Gespräch mit zwei weiteren Frauen fiel dann dieser eine Satz, der mir schon oft in den letzten Jahren einen Stich gegeben hatte. Er lautete: „Das ist das Schlimmste, was passieren kann, wenn das eigene Kind stirbt.“ Der Satz machte mich traurig, und wieder sehr nachdenklich. Dürfen wir darüber urteilen, was das Schlimmste ist? Dürfen wir in der Trauer pauschalisieren? Was sagen solche Sätze wirklich aus, wenn wir sie genauer betrachten?
Trauer anerkennen – Muss ich dann weniger traurig sein?
Meine Schwester ist gestorben. Als ich im ersten Jahr immer wieder bei Ärzten, Behördengängen etc. auf Menschen traf, die vom Tod meiner Schwester durch die Medien erfahren haben, drückten sie ihr Beileid aus und zeigten wie schockiert sie darüber waren. Nachfolgend kam meistens ein und dieselbe Reaktion: Die Frage, wie es meiner Mutter gehen würde, wie sie damit nur klar kommt und wie schrecklich das für sie sein muss. Anfangs habe ich das noch nicht so wahrgenommen, erst mit den Monaten bemerkte ich, dass eigentlich kaum einer nach meinem Befinden fragte oder ausdrückte, wie schlimm das nun für mich sein muss. Warum war das so, fragte ich mich? Und immer wieder auch hörte ich den Satz, dass es das Schlimmste sein muss, wenn das eigene Kind stirbt.
Ich fühlte mich zunehmend in meiner Trauer gehemmt, so als würde ich nicht die Erlaubnis haben, den Tod meiner Schwester gleich fest betrauen zu dürfen, wie meine Mama.
An besonders emotionalen Tagen begann ich mich zu rechtfertigen und für das Anerkennen meiner Trauer zu kämpfen, indem ich erklärte, dass Larissa aber meine Schwester war und für mich das Wichtigste im Leben. Diese Situationen waren derart schrecklich für mich, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Ich wollte meinen Schmerz nicht mit dem meiner Mama vergleichen müssen. Ich fand dieses Gefühl verstörend und beklemmend, ständig in meiner Trauer abgestuft oder auch höher eingestuft zu werden. Denn auch das war oft der Fall. „Meine Mutter starb an Krebs, aber dein Verlust ist hier noch viel schlimmer“, hörte ich zum Beispiel. Vielleicht ist die Art des Todes meiner Schwester eine schockierendere, weil es selten in unserer Gegend passiert und zudem ein anderer Mensch verantwortlich war.
Aber kann ich denn wirklich sagen, dass der eine Verlust schlimmer, als der andere ist? Wo sind wir, wenn wir Verluste und Schicksale beginnen zu skalieren? Werten wir dann dadurch nicht die Trauer des anderen ab bzw. auf?
In solchen Situationen versuchte ich immer sofort meinem Gegenüber zu erklären, dass ihr Verlust doch genauso schlimm war, für sie in ihrem Leben das Schlimmste gerade und sie das nicht vergleichen sollen. Denn damit gestehen sie sich doch selbst ihre Trauer als weniger erlaubt und weniger anerkannt ein. Und hemmen sich dadurch selbst ihre Trauer annehmen zu können und sie auch ausleben zu dürfen. Genauso auch der Satz, dass es generell Schlimmeres im Leben noch gibt. Ja noch schlimmer wäre gewesen, wenn all meine Schwestern zum Beispiel gestorben wären. Aber das ist nicht passiert. Und warum sollte ich mir das vorstellen müssen? Soll ich dann deswegen erleichtert sein, dass es ja nur eine Schwester war? Was macht sowas mit uns? Wieder erlauben wir uns die Trauer nicht und sollen uns mit einer Fiktion trösten, die gar nichts mit der Realität zu tun hat. Denn real ist nur diese eine Tatsache und somit auch die Gedanken und darauf folgenden Gefühle. Und genau das sollte anerkannt werden, von dir selbst und auch deinem Gegenüber, in diesem einen Moment. Denn das ist hier und jetzt gerade das Schlimmste für dich selbst und darf betrauert werden.
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Geschwistertrauer – eine leicht zu übersehene Trauer
Wenn wir Verluste zu pauschalisieren beginnen, dann pauschalisieren wir doch gleichzeitig Liebe? Wer kann sagen, welche Liebe tiefer und enger ist und welche weniger intensiv? Haben wir wirklich dieses Recht dazu?
In unserer Gesellschaft ist fest verankert, dass die Liebe zum eigenen Kind die engste und tiefste ist. Das ist bestimmt auch nicht falsch, weil es allein schon unsere Natur vorgesehen hat. Was ist aber mit den Menschen, die keine Kinder haben? Sie haben diese Art der Liebe noch nicht kennen lernen können. Sie kennen vielleicht nur die Liebe zu den Eltern, zu Geschwistern oder auch Partnern. Für sie sind das die engsten Bindungen des Lebens und somit die größte und tiefste Liebe.
Aufgrund dieser gesellschaftlich und auch naturgegebenen tiefsten Beziehung zwischen Kind und Mutter/Vater entsteht auch die Vorstellung heraus, dass dies dann der schlimmste Verlust und Schmerz sei. Einerseits auch eine richtige Schlussfolgerung. Andererseits bedeutet der Satz für Menschen, die jemand anderen, als das eigene Kind verloren haben, einen weniger schlimmen Verlust. Wenn diese Menschen ein Kind noch haben, dann vielleicht, wobei ich auch hier sage, dass der Schmerz und dieser eine Verlust gerade jetzt der Schlimmste in deren Leben ist und ebenso anerkannt werden soll.
Nachdem meine Schwester gestorben ist, bin ich bei meiner Google Suche immer wieder auf Hilfe und Angebote gestoßen. Doch die meisten davon behandelten entweder den Verlust der Eltern oder den Verlust von Kindern. Geschwisterverluste waren kaum erwähnt oder schienen oft einfach bei anderen Verlusten mit rein genommen worden zu sein. Heute, Jahre später, hat sich das Angebot ausgeweitet und Menschen haben erkannt, dass diese Geschwistertrauer oft untergeht. Weil sich der Fokus zumeist stark auf die Eltern legt und deren Verlust hervorgehoben wird.
Eine Seite aus München, die Geschwistern Hilfe anbietet schreibt hier treffend:
Warum gibt es eine spezielle Gruppe für trauernde Geschwister?
Weil trauernde Geschwister in der Wahrnehmung der Gesellschaft, der Öffentlichkeit und der eigenen Familien manchmal übersehen werden – nicht aus absichtlicher Ignoranz, sondern sehr oft, weil die Trauer der betroffenen Eltern die der erwachsenen Geschwister überstrahlt.
Viele hinterbliebene Geschwister fühlen sich manchmal in ihrer Trauer unter Druck gesetzt und verantwortlich für die Eltern. Sie glauben nun für die Eltern stark sein zu müssen und ziehen sich mit ihrer Trauer oft zurück. Ein Online Programm für Erwachsene, die Geschwister verloren haben findest du hier: Trauernde Geschwister
Das Schlimmste, was passieren kann ist…
wenn ein dir nahe-stehender, geliebter Mensch stirbt oder ein für dich persönlich tragischer Verlust passiert.
Meine engste Verbindung in meinem Leben, meine größte, intensivste und auch bedingungsloseste Liebe gilt meinen Schwestern. Ich würde für sie sterben. Ich bin die älteste von uns vier Mädchen. Ich habe jeden einzelnen ersten Augenaufschlag miterlebt, sie aufwachsen sehen, war sogar durch den großen Altersunterschied zu der Jüngsten mitverantwortlich für ihre Entwicklung, habe alle wichtigen Ereignisse direkt miterleben dürfen und kenne alle Geheimnisse und Erlebnisse.
Und dadurch ist der Tod meiner Schwester das Schlimmste in meinem Leben, für mich. Wer es auch bei dir sein mag, das ist für dich, in deinem Leben der schlimmste und schmerzvollste Verlust und sollte genauso anerkannt werden. Von dir, von mir und sonst jedem. Denn Trauer darf und soll nicht pauschalisiert werden. Sie wird unterschiedlich wahrgenommen und gefühlt. Sie kann nicht verglichen werden. Nur du selbst hast das Recht über deine eigene Trauer zu urteilen, sonst niemand. Deine Trauer. Dein schlimmster Schmerz. Also auch deine Regeln.
Niemand sollte sich das Recht heraus nehmen und besonders vor einem Trauernden sagen, dass ein bestimmter Verlust das Schlimmste sei. Vielleicht habe ich dich hier zum Denken angeregt. Was denkst du darüber? Erzähl mir in den Kommentaren davon!