Im letzten Jahr ging es oft drunter und drüber. Ein neues Business zu starten und eine Selbstständigkeit erfordern ganz schön viel Arbeit, Zeit, Termine und Treffen. Wenn dann noch Zeit blieb, habe ich meine Freunde und Familie getroffen oder diese mit meinem Freund verbracht. Doch eine Zeit kam ein bisschen zu kurz, nämlich mit mir alleine. Und damit auch die Zeit mit meiner Schwester Larissa. Ja sie ist tot, aber die Liebe zu ihr lebt noch und diese muss stets gepflegt werden. Um meiner selbst Willen und für mein Leben mit der Trauer. Warum diese Zeit so wichtig sein kann, beschreibe ich nachfolgend.
Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht menschliche Interaktion, um zu überleben. Wir treffen Freunde, Verwandte, Bekannte, Arbeitskollegen, Fremde und treten mit all jenen durch Mimik, Gestik und Sprache in Kontakt. Besonders mit unseren liebsten Menschen möchten wir viel Zeit verbringen. Wenn wir gemeinsam lachen und quatschen, weinen und Aktivitäten nachgehen festigt es unsere Beziehungen und wärmt unser Herz.
Eine neuartige Verbindung statt Loslassen
Manchmal aber sterben genau diese liebsten Menschen. Was bleibt, sind Erinnerungen und die Liebe zu ihnen. Früher hat es geheißen solle man möglichst schnell den verstorbenen Menschen loslassen und nach vorne schauen, doch diese Theorie wurde bald schon widerlegt. Manche glauben noch immer daran, aus persönlicher Erfahrung, sage ich, ist das jedoch Schwachsinn. Denn Loslassen kostet Kraft und erzeugt ein inneres natürliches Widerstreben, das sich auf den gesamten Organismus ausbreitet.
Wenn wir den Menschen loslassen würden, dann würden wir auch die Liebe loslassen. Warum sollten wir das tun, wenn wir unter anderem daraus unsere Kraft für ein Weiterleben heraus nehmen?
Der verstorbene Mensch ist physisch nicht mehr anwesend. Doch sein Platz im Herzen ist fest verankert und damit bedeutet dies eine neuartige Beziehung zu ihm. Um diese Beziehung aufzubauen, braucht es Zeit: der so genannte Trauerprozess.
Als meine Schwester noch am Leben war, habe ich immer wieder mit ihr Zeit verbracht. Heute kann ich das nicht mehr im üblichen Sinn, dafür aber auf einem anderen Weg.
Wenn ich mir Zeit mit mir alleine nehme, dann kann das meine Zeit mit meiner Schwester sein. Ich betone auf kann, denn sie muss nicht. Sie kann auch nur für mich sein.
Wie aber kann eine solche gemeinsame Zeit dann aussehen?
Dafür habe ich mit ein paar anderen Trauernden gesprochen und gefragt, wie sie diese Zeit gestalten und, ob sie sich überhaupt Zeit dafür nehmen? Und ja sie tun es, fast jeder trauernde Mensch „trifft“ sich hin und wieder mit den Verstorbenen und kommuniziert mit ihnen. Manche haben sich gefragt, ob sie vielleicht verrückt werden, wenn sie sich so verhalten würden. Ich sage nein, denn nur weil der Mensch physisch nicht da ist, bedeutet es nicht, dass du keine Zeit mit ihm verbringen darfst. Alles, was gut tut und in der Trauer hilft ist förderlich auf deinem Weg.
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Die Aussagen der anderen Trauernden:
„Ich setze mich ans Grab und rede einfach drauf los, erzähle was in der Woche alles passiert ist und kommuniziere, als wäre er niemals gestorben. Das tut gut und ich fühle mich ihm näher.“
„Ich werfe mich auf die Couch, hole Gummibärchen und Pizza raus (normalerweise ernähre ich mich gesund und zuckerfrei), schalte einen Film an, den ich gerne mit ihr angeschaut habe und genieße diese Zeit, wie damals. Dabei stelle ich mir immer vor, wie sie jetzt reagieren würde. Das schenkt mir ein Gefühl von Nähe.“
„Ich habe mir eine ruhige Ecke in der Wohnung eingerichtet und schreibe ihr dort regelmäßig. Durchs Schreiben fühle ich die Kommunikation mit ihr und sie ist dann ganz nah bei mir.“
Ich persönlich habe es in meinem ersten Trauerjahr ähnlich gehalten. Einen Ort habe ich gefunden, an dem ich mit Larissa laut sprechen konnte, ein leeres Buch habe ich mir gekauft und ihr dort regelmäßig aus meinem Leben berichtet und vor allem beim Sport, Tanzen oder Wandern habe ich sie immer direkt vor mir gesehen und ihre Nähe gespürt.
Nähe spüren. Alle Aussagen haben diese Botschaft gemeinsam. Genau darum geht es. Dass uns warm ums Herz wird und wir mit dieser Wärme neue Kraft schöpfen können, für ein Weiterleben ohne diesen Menschen. Doch dafür brauchen wir Zeit für uns selbst, mit uns alleine.
In meiner anfänglichen Trauerzeit habe ich noch sehr viel Zeit alleine, beziehungsweise mit Larissa, verbracht, mit den Jahren wurde der Bedarf/Drang danach weniger, aber er ist noch immer da und muss gestillt werden. Letztes Jahr hatte ich mir dafür jedoch zu wenig Zeit eingeräumt und das spüre ich heute. Meine Sehnsucht nach dieser Zeit mit ihr ist stärker geworden, ich fühle mich oft schnell gereizt und spüre den stetigen Drang alleine zu sein, für mich Zeit zu haben. Dadurch kann ich Zeit mit anderen Freunden manchmal weniger genießen. Genau deshalb habe ich beschlossen im Februar alleine ein paar Tage nach Verona zu reisen, mir dort eine kleine Wohnung zu nehmen und Dinge zu unternehmen, die ich mit Larissa verbunden habe und gemacht hätte.
Warum gerade Verona? Weil es in der Nähe liegt und ich bereits vor fast 5 Jahren dort alleine genau eine solche Zeit verbracht habe. Damals habe ich auf dieser Reise den Gedanken entwickelt anderen Menschen mit meinem Schicksal zu helfen.
Die „Gefahr“ dahinter
Nehmen wir ein Beispiel. Ich liebe meine Schwestern über alles und ich verbringe sehr gerne Zeit mit ihnen. Allerdings kann ich nicht 24/7 lang mit ihnen sein, so wie ich das auch nicht mit meinem Freund oder sonstigen Freunden kann. Zu viel Zeit miteinander kann Konflikte hervorbringen, weil du dabei natürlich in Kompromissen lebst und mit Rücksicht auf den anderen Menschen. Du beginnst zu klammern (was ich lange Zeit bei meiner jüngsten Schwester getan habe), was dein Gegenüber nicht glücklich macht und dich unbewusst ebenso wenig.
Daher ist wichtig, bewusst immer wieder Zeit nur für sich zu nehmen. Auch 24/7 nur mit dem verstorbenen Menschen kann zu viel sein. Vielleicht verlierst du dich dann darin und den Bezug zur Realität. Deshalb werde ich auch auf meiner kleinen Reise mancherlei Dinge einfach nur für mich tun, weil ICH sie mag, sie MIR gut tun und ICH daran Spaß und Freude habe.
Eine Balance zu finden in der Zeiteinteilung der Beziehungen, die du pflegst, ist der Schlüssel und dabei sollte die Beziehung zu dir selbst nicht zu kurz kommen.
Zeit nur für dich ist ein Geschenk, das du dir nehmen darfst
Aus diesem Grund solltest du ebenfalls immer wieder Zeiten einbauen, die nur für dich alleine sind. Denn wenn wir mit uns selbst sind, können wir uns viel mehr spüren und herausfinden, was wir wirklich brauchen und mögen und was nicht. Wir werden kreativer, können allerlei Gefühlen Ausdruck verschaffen, hinspüren, welche Gefühle überhaupt da sind und sie sein lassen. Das kann natürlich auch Angst machen. Alleine sind wir diesen Gefühlen ausgeliefert und durch die Zeit mit dem Verstorbenen kann auch die Trauer verstärkt hervorkommen, sozusagen eine Welle auslösen. Ja das tut dann weh, aber wenn du an all deine Heulkrämpfe und Momente des Weinens zurück denkst, wie hast du dich dann im Nachhinein gefühlt? Befreit, erleichtert, zufrieden? Wovor hast du dann wirklich Angst? Tue es und du wirst nur profitieren!
Wie schauen deine Zeiten mit dir alleine und dem verstorbenen Menschen aus? Poste es in den Kommentaren! Nimmst du dir bereits diese Zeiten?